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Vietnam - Reise keine staatsbürgerliche Pflicht - VG Berlin 7 L 816.15

25. Oct
2015

Ein Beamter kann für eine Vietnam-Reise, die im Rahmen seiner kommunalpolitischen Betätigung durchgeführt wird, keinen Sonderurlaub unter Fortzahlung der Bezüge beanspruchen.

Volltext des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. Oktober 2015 - VG 7 L 816.15:


Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,– € festgesetzt.


Gründe

Der sinngemäße Antrag,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 14. bis 22. Oktober 2015 Sonderurlaub unter Fortzahlung der Bezüge für die Teilnahme an einer Delegationsreise des Bezirksamtes L_____ nach H_____zum Abschluss einer Städtepartnerschaft des Bezirks mit H_____ zu gewähren, bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung insbesondere nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahren zu verhindern. Die vom Antragsteller begehrte Gewährung von Sonderurlaub geht über eine einstweilige Regelung hinaus und würde zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen. Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich aber nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Die Vorwegnahme der Hauptsache ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nur ausnahmsweise dann möglich, wenn dem Antragsteller durch die Verweisung auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren ein unzumutbarer schwerer Nachteil entstehen würde (Anordnungsgrund; dazu unter 1) und zudem ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Antragsteller in der Hauptsache obsiegen wird (Anordnungsanspruch; dazu unter 2). Beide Voraussetzungen liegen nicht vor.

1. Der Antragsteller hat schon einen Anordnungsgrund nicht in der gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung gebotenen Weise glaubhaft gemacht. Es ist weder ersichtlich, dass der Sonderurlaubsanspruch, dessen er sich berühmt, durch ein Zuwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, noch sind sonstige wesentliche Nachteile für den Antragsteller vorgetragen, die es rechtfertigen könnten, die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache anzuordnen. Da der Antragsteller noch über entsprechenden Erholungsurlaub verfügt, ist es ihm möglich, diesen vorläufig einzusetzen, um seine Teilnahme an der unmittelbar bevorstehenden Delegationsreise zu ermöglichen. Effektiven Rechtsschutz kann der Antragsteller auch in der Folge noch erlangen. Zwar kann er den Sonderurlaub wegen dessen Zweckgebundenheit nicht nachträglich antreten, jedoch kann der Antragsteller die Rechtswirkungen einer rechtswidrigen Sonderurlaubsversagung und eines deshalb über Gebühr erfolgten Inanspruchnahme von Erholungsurlaub rückwirkend beseitigen lassen, indem er dessen nachträgliche Gutschrift beantragt (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2005 – BVerwG 2 C 4.05 –, juris, Rn. 9; Urteil der Kammer vom 26. Februar 2014 – VG 7 K 158.12 – n.rkr.)

2. Es fehlt darüber hinaus an einem Anordnungsanspruch. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Gewährung von Sonderurlaub unter Fortzahlung der Bezüge nicht in der für die hier erstrebte teilweise Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht.

a. Nach § 2 der Verordnung über den Urlaub der Beamten und Richter aus besonderen Anlässen – SUrlVO – ist dem Beamten der für die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Pflichten und Rechte erforderliche Urlaub unter Fortzahlung der Besoldung zu gewähren. Dass danach eine Freistellung nicht für jede im Zusammenhang mit dem kommunalpolitischen Mandat stehende Tätigkeit beansprucht werden kann, folgt – entgegen der Ansicht des Antragstellers – schon aus dem Wortlaut der Norm, die es nicht genügen lässt, dass der Sonderurlaub der Wahrnehmung staatsbürgerlicher Pflichten und Rechte „dient“, sondern einschränkend weiter voraussetzt, dass er hierfür „erforderlich“ ist. Hingegen differenziert die Regelung – entgegen der Ansicht des Antragsgegners - nicht danach, ob die staatsbürgerliche Tätigkeit selbst verpflichtend oder, wie hier das Amt eines Bezirksverordneten, freiwillig übernommen worden ist.

Die Regelung sichert den in Art. 19 Abs. 1 der Verfassung von Berlin garantierten Anspruch auf kommunalpolitische Betätigung, demzufolge niemand im Rahmen der geltenden Gesetze, insbesondere nicht durch sein Arbeitsverhältnis, an der Wahr-nehmung staatsbürgerlicher Rechte oder öffentlicher Ehrenämter gehindert werden darf. Der betreffende Anspruch besteht jedoch nicht ohne jede Einschränkung. Im Bereich des öffentlichen Dienstrechts muss er in Ausgleich mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz - GG -) gebracht werden, zu denen als Korrelat der Alimentationspflicht des Dienstherrn die Dienstleistungspflicht der Beamten gehört. So wie ein Beamter danach das Recht auf ungeschmälerte Alimentation hat, steht er zugleich in der Pflicht, seine Dienstleistung in gleichem, grundsätzlich also vollem Umfang, zu erbringen. Von diesem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Berufsbeamtentums rückt § 2 SoUrlVO für den Fall der Ausübung einer kommunalpolitischen Betätigung ein Stück ab. Da die Vorschrift jedoch die Dienstleistungspflicht als solche nicht entfallen lässt, ist sie als Ausnahme vom Grundsatz voller Dienstleistungspflicht in verfassungskonformer Weise eng auszulegen. Es ist daher nicht geboten, Beamten für jede im Zusammenhang mit dem kommunalen Ehrenamt stehende, diesem förderliche oder hierfür wünschenswerte Tätigkeit Sonderurlaub unter Fortzahlung der Dienstbezüge zu gewähren. Vielmehr kann ein Beamter Urlaub unter Fortzahlung seiner Dienstbezüge nur dann beanspruchen, wenn es sich bei dem Anlass für die beantragte Freistellung vom Dienst um eine Tätigkeit handelt, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem kommunalpolitischen Mandat steht, ohne die also dessen sachgerechte Wahrnehmung wesentlich erschwert oder behindert würde, und zudem die zeitliche Kollision zwischen Dienst und Mandat nicht vermeidbar ist (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 1985 – BVerwG 2 C 8/84 –, juris Rn. 10; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. November 2010 – 2 A 10723/10 –, Rn. 20 ff.). Zu den danach erfor-derlichen Tätigkeiten zählen etwa die Teilnahme an den Sitzungen der Bezirksve-rordnetenversammlung (§ 6 Abs. 2 des Bezirksverwaltungsgesetzes – BezVwG –) und, sofern der Beamte deren Mitglied ist, an denen des Vorstandes (§ 7 BezVwG), des Ältestenrates und der Ausschüsse (§ 9 BezVwG).

Nach dieser Maßgabe steht vorliegend nicht mit für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit fest, dass der Sonderurlaub für die Wahrnehmung eines staatsbürgerlichen Rechts des Antragstellers erforderlich ist. Zwar übt der Antragsteller als gewählter Bezirksverordneter der Bezirksverordnetenversamm-lung L_____ ein aus den Art. 69, 70 der Verfassung von Berlin i.V.m. § 4 des Landes-wahlgesetzes resultierendes staatsbürgerliches Recht aus. Die Teilnahme an der Delegationsreise nach H_____ gehört jedoch nicht zu den für die Ausübung des Amts „erforderlichen“ Tätigkeiten. Es handelt sich weder um eine Sitzung noch um eine sonstige Veranstaltung der gesamten Bezirksverordnetenversammlung oder eines Gremiums derselben, dem der Antragsteller angehört. Ausweislich der von ihm vorgelegten Unterlagen wird die Reise vom Bezirksamt (§ 34 BezVwG) durchgeführt, welches zunächst nur einem Mitglied des Vorstandes und auf Bitten des Ältestenrates ergänzend dem Antragsteller eine Teilnahme angeboten hat. Es ist auch nicht ansatzweise ersichtlich, dass eine Teilnahme an der Reise für den Antragsteller unabdingbar für die sachgerechte Ausübung seiner in §§ 11 ff. des Bezirksverwaltungsge-setzes geregelten Kontroll- und Gestaltungsbefugnisse als Bezirksverordneter wäre. Auch der Umstand, dass die Bezirksbürgermeisterin den Antragsteller als einen der Architekten der Städtepartnerschaft mit H_____ und fraktionsübergreifend angesehenen Bezirksverordneten beschreibt, lässt nicht erkennen, dass die Teilnahme an der Delegationsreise mehr als nur förderlich und wünschenswert für dessen ehrenamtliche Tätigkeit wäre.

b. Weitergehende Rechte kann der Antragsteller auch nicht aus der Gemeinsamen Erklärung des Landes Berlin und des Hauptpersonalrates zur Förderung des bürger-schaftlichen Engagements bei den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes im Land Berlin vom 28. August 2013 ableiten. Die darin vereinbarte Unterstützung und Förderung der Akzeptanz ehrenamtlichen Engagements kann nur im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten erfolgen. Eine über § 2 SoUrlVO hinausgehende Ermächtigung des Dienstherren, unter Fortzahlung der Besoldung Sonderurlaub für kommunalpolitische Ehrenämter zu gewähren, sieht das Landesrecht jedoch nicht vor

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 39 ff., 52 f. GKG. Insoweit war mit Blick auf die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache die Festsetzung eines Gegenstandswerts in Höhe des vollen Auffangwertes geboten.

Dr. Galler-Braun Nipperdey Seedorf