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Urlaubsabgeltung nach Ablauf der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist ist regelmäßig ausgeschlossen

25. Apr
2014

 - 0Ein gekündigter Arbeitnehmer verlangte die Auszahlung nicht genommener 105 Urlaubstage in Höhe von über 9.000 €. Das Arbeitsverhältnis endete am 31.08.08. Die erstmalige Geltendmachung erfolgte am 17.03.09 mit der Klageschrift. Aber schon am 01.12.08 war die maßgebliche Frist des Tarifvertrags abgelaufen. Der Kläger meint, er sei verhindert gewesen, seine Ansprüche rechtzeitig geltend zu machen. Er sei gemäß Tarifvertrag „trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt“ zur Geltendmachung verhindert gewesen sein müssen, was dem Verfall entgegenstehe.

Die Vorinstanzen folgten seiner Argumentation und haben dem klagenden Arbeitnehmer zumindest teilweise Recht gegeben. Das BAG hat dagegen die Ansprüche auf Abgeltung komplett zurückgewiesen.

Es besteht kein Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach Ablauf der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist. Es ist ein strengen Maßstab bei der Frage der Verhinderung der Geltendmachung einer Ausschlussfrist anzulegen (BAG, Urteil vom 10. Dezember 2013 - 9 AZR 494/12).

Der Kläger habe es demnach versäumt, gemäß der besagtentarifvertraglichen Verfallklausel innerhalb von 3 Monaten nach Fälligkeit die Ansprüche auf Urlaubsabgeltung einzufordern. Die Klausel verstoße nicht gegen europarechtlichen Anforderungen an Gleichwertigkeit und Effektivität.

Das BAG stellte aber fest, dass es denkbar leicht gewesen wäre, beim Arbeitgeber die Abgeltung zu fordern. Ein einfaches Schreiben oder auch nur ein Telefonat hätten genügt. Warum das dem Arbeitnehmer nicht möglich gewesen soll, konnte er nicht nachvollziehbar darlegen. Das BAG hat es offen gelassen, ob es anders zu sehen sei, wenn ein fachkundiger Berater die Geltendmachung für unnötig gehalten habe. Denn dabei handelte es sich nur um hypothetische Erwägungen des Landesarbeitsgerichts, die ohne jede Tatsachenfeststellungen erfolgten.

Ärgerlich für den Arbeitnehmer war, dass das BAG zum Zeitpunkt der Klageeinreichung eine andere Ansicht vertrat und zwar die sogenannte Surrogatstheorie, wonach der Urlaubsanspruch erst am Ende des ersten auf das Urlaubsjahr folgenden Quartals verfällt. Erst im Jahr 2009 hat das BAG diese Rechtssprechung aufgegeben (BAG 9 AZR 652/10) . Das half dem Kläger aber nicht weiter. Er genießt keinen Vertrauensschutz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG. Anders als bei Gesetzen ist damit zu rechnen, dass höchstrichterliche Rechtsprechung Veränderungen unterliegt.

Volltext der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts BAG, Urteil vom 10. Dezember 2013 - 9 AZR 494/12:

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 22. März 2012 - 16 Sa 1176/09 - teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 20. August 2009 - 4 Ca 1334/09 - teilweise abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten in der Revisionsinstanz noch, gesetzlichen Mindesturlaub (Mindesturlaub) und Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen (Zusatzurlaub) aus den Jahren 2007 und 2008 abzugelten.

Die Beklagte beschäftigte den Kläger, der seine Arbeitsleistung an fünf Tagen in der Woche erbrachte, vom 1. April 1964 bis zum 31. August 2008 als Schlosser. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der „Einheitliche Manteltarifvertrag“ für die Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2003 (EMTV), der am 1. März 2004 in Kraft trat, Anwendung. Dieser enthält ua. folgende Regelungen:

㤠19

Geltendmachung und Ausschluss von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis/Ausbildungsverhältnis

2.

Beschäftigte/Auszubildende haben das Recht, Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis/Ausbildungs-verhältnis innerhalb folgender Fristen geltend zu machen:

a)

Ansprüche auf Zuschläge … innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Abrechnung,

b)

alle übrigen Ansprüche innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit.

4.

Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Fristen geltend gemacht werden, sind ausgeschlossen, es sei denn, dass Anspruchsberechtigte trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert waren, diese Fristen einzuhalten.

…“

Der seit dem Jahr 2002 schwerbehinderte Kläger war ua. vom 1. Januar 2006 bis zum 31. August 2008 durchgehend krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Mit seiner am 18. März 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageschrift, die der Beklagten am 23. März 2009 zugestellt worden ist, verlangte er erstmals von der Beklagten, 105 Urlaubtage aus den Jahren 2006 bis 2008 abzugelten.

Der Kläger hat die Rechtsauffassung vertreten, die Urlaubsansprüche seien infolge seiner andauernden Arbeitsunfähigkeit nicht verfallen. Er sei trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert gewesen, die tarifliche Ausschlussfrist des § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV einzuhalten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.162,30 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage ua. mit der Begründung beantragt, der Kläger habe den Abgeltungsanspruch nicht gemäß § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit des Anspruchs geltend gemacht.

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, den Mindest- und den Zusatzurlaub aus den Jahren 2006 bis 2008 und damit insgesamt 75 Urlaubstage mit einem Bruttobetrag iHv. 6.544,80 Euro abzugelten. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte nur zur Abgeltung des Mindest- und des Zusatzurlaubs aus den Jahren 2007 und 2008 mit einem Bruttobetrag iHv. 4.363,00 Euro verurteilt. Mit der von dem Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der vollständigen Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe

I. Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben. Der Anspruch des Klägers auf Abgeltung des Mindest- und des Zusatzurlaubs aus den Jahren 2007 und 2008 ist gemäß § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV ausgeschlossen, weil der Kläger ihn nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht hat.

1. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist ein „übriger Anspruch“ iSd. § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV. Vorbehaltlich abweichender Tarifbestimmungen unterfällt ein Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch denselben tariflichen Bedingungen wie alle übrigen Zahlungsansprüche der Arbeitsvertragsparteien. Dies gilt sowohl für die Abgeltung des Mindesturlaubs (vgl. BAG, Urteil vom 21. Februar 2012- 9 AZR 486/10 - Rn. 19) als auch für die Abgeltung des Zusatzurlaubs (vgl. BAG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 9 AZR 399/10 - Rn. 40, BAGE 140, 133).

2. Die Ausschlussfristenregelung des § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV verstößt bezüglich der Abgeltung von Urlaub nicht gegen Art. 7 der Richtlinie 2003/88EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung. Diese Bestimmung gebietet nicht, dass eine Ausschlussfrist für den Urlaubsabgeltungsanspruch die Dauer des Bezugszeitraums des Urlaubsanspruchs deutlich übersteigt ( BAG, Urteil vom 18. September 2012 - 9 AZR 1/11 - Rn. 27). Eine dreimonatige Ausschlussfrist genügt den unionsrechtlichen Anforderungen an die Gleichwertigkeit und Effektivität der Regelung (vgl. BAG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 9 AZR 399/10 - Rn. 28, BAGE 140, 133). Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt oder arbeitsfähig ist (vgl. BAG, Urteil vom 19. Juni 2012 - 9 AZR 652/10 - Rn. 24). Eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht.

3. Der Kläger machte den Urlaubsabgeltungsanspruch erstmals mit der Klageschrift vom 17. März 2009, die der Beklagten am 23. März 2009 zugestellt worden ist, geltend. Zu diesem Zeitpunkt war die dreimonatige Ausschlussfrist des § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV abgelaufen. Der von dem Kläger erhobene Anspruch entstand mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. August 2008 und wurde zu diesem Zeitpunkt fällig (vgl. BAG, Urteil vom 6. August 2013 - 9 AZR 956/11 - Rn. 22). Die Ausschlussfrist begann am Folgetag, dem 1. September 2008, zu laufen (§§ 186, 187 Abs. 1 BGB) und endete am 1. Dezember 2008 ( § 188 Abs. 2 Alt. 1 und Abs. 3, § 193 BGB).

4. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts war der Kläger nicht verhindert, „trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt“ den Abgeltungsanspruch binnen der in § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV bestimmten Frist gegenüber der Beklagten geltend zu machen.

a) Die Beantwortung der Frage, ob eine dem Anspruchsverfall entgegenstehende Verhinderung iSd. § 19 Nr. 4 EMTV vorliegt, hängt im Wesentlichen von den Umständen des Einzelfalls ab. Deren Feststellung und Würdigung ist vorrangig Aufgabe des Tatrichters, der den vorgetragenen Sachverhalt eigenverantwortlich zu beurteilen hat. Ob die Tatbestandsmerkmale „trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert“ vorliegen, ist in der Revisionsinstanz nur eingeschränkt nachprüfbar. Das Berufungsurteil kann vom Revisionsgericht lediglich darauf überprüft werden, ob das Tatsachengericht alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat, die Bewertung dieser Aspekte von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen wird und das Ergebnis wie auch die Begründung mit den Gesetzen der Logik und den allgemeinen Erfahrungssätzen vereinbar sind (vgl. BAG, Urteil 16. Oktober 2007 - 9 AZR 248/07 - Rn. 27, BAGE 124, 229). Auch dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht stand.

b) Die Revision rügt zu Recht, der von dem Landesarbeitsgericht gezogene Schluss, der Kläger sei „trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt“ an einer fristgerechten Geltendmachung verhindert gewesen, werde von den festgestellten Tatsachen nicht getragen. Tarifliche Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Der Schuldner soll sich darauf verlassen können, nach Ablauf der tariflichen Verfallfristen nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Umgekehrt soll der Gläubiger angehalten werden, innerhalb kurzer Fristen Begründetheit und Erfolgsaussichten seiner Ansprüche zu prüfen ( BAG, Urteil vom 10. Oktober 2002 - 8 AZR 8/02 - zu II 2 e bb (3) der Gründe, BAGE 103, 71). Die Anforderungen, die § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV an die Fristwahrung stellt, sind denkbar gering. Es genügt eine formlose Geltendmachung des Anspruchs. Mit einer solchen sind weder sachliche Schwierigkeiten noch finanzielle Risiken verbunden. Der Kläger hat keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen lassen, dass ihm die Unterrichtung der Beklagten, etwa mittels eines Telefonanrufs, nicht möglich oder nicht zumutbar war. Sie sind im Übrigen nicht ersichtlich. Soweit das Landesarbeitsgericht darauf abstellt, ein fachkundiger Berater hätte es für unnötig gehalten, den von dem Kläger erhobenen Anspruch auch nur vorsorglich gegenüber der Beklagten geltend zu machen, stützt es seine Entscheidung auf ein hypothetisches Geschehen, für das es an Tatsachenfeststellungen fehlt.

c) Der Hinweis des Klägers, der Senat habe seine Rechtsprechung zur sog. Surrogatstheorie, der zufolge der Urlaubsanspruch eines arbeitsunfähigen Arbeitnehmers am Ende des ersten auf das Urlaubsjahr folgenden Quartals verfalle, erst im Jahr 2009 aufgegeben (vgl. im Einzelnen: BAG, Urteil vom 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - BAGE 130, 119), hilft ihm nicht weiter.

aa) Eine in der Rechtsprechung bislang vertretene Gesetzesauslegung aufzugeben verstößt nicht als solches gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Höchstrichterliche Urteile sind kein Gesetzesrecht und erzeugen keine vergleichbare Rechtsbindung. Die über den Einzelfall hinausreichende Wirkung fachgerichtlicher Gesetzesauslegung beruht nur auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichts. Ein Gericht kann deshalb von seiner bisherigen Rechtsprechung abweichen, auch wenn keine wesentlichen Änderungen der Verhältnisse oder der allgemeinen Anschauungen eingetreten sind. Eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist somit grundsätzlich unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält. Es reicht aus, wenn ein Gericht den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes beachtet und ihm erforderlichenfalls durch Billigkeitserwägungen Rechnung trägt (vgl. BAG, Urteil vom 19. Juni 2012 - 9 AZR 652/10 - Rn. 27).

bb) Spätestens nach Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in der Sache Schultz-Hoff ( LAG Düsseldorf, Urteil vom 2. August 2006 - 12 Sa 486/06) durften sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer nicht mehr davon ausgehen, der Senat werde die hergebrachte Rechtsprechung unverändert fortführen. Durch dieses Vorabentscheidungsersuchen wurde nicht nur ein einzelner Aspekt, wie das Erlöschen von Urlaubsabgeltungsansprüchen bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit, sondern die überkommene Rechtsprechung zur Erfüllbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs als Ganzes infrage gestellt. Davon waren auch die Grundsätze betroffen, die der Senat unter dem Regime der Surrogatstheorie zum Nichteingreifen von tariflichen Ausschlussfristen entwickelt hatte (vgl. BAG, Urteil vom 21. Februar 2012 - 9 AZR 486/10 - Rn. 31). Der von dem Kläger erhobene Anspruch entstand mit Ablauf des 31. August 2008. Angesichts der damaligen von Unsicherheit gekennzeichneten Rechtslage oblag es dem Kläger, seine Ansprüche fristwahrend gegenüber der Beklagten geltend zu machen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).

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