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Klärungsbedürftigkeit des Tarifvertrags VTV - BAG 10 AZN 1010/08

30. Jun
2016

 - 0Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ist begründet, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von der aufgeworfenen Rechtsfrage abhängt, diese Rechtsfrage durch das Revisionsgericht klärungsfähig und klärungsbedürftig ist und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder sie wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder jedenfalls eines größeren Teils der Allgemeinheit eng berührt.

Die Frage, ob Bohrarbeiten zur Feststellung der Bodenbeschaffenheit stets dem Anwendungsbereich des hier streitigen Tarifvertrags VTV unterfallen oder nur dann, wenn sie einen baulichen Bezug aufweisen, ist nicht klärungsbedürftig. Die Frage ist bereits geklärt.

Volltext des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 10.12.2008 - BAG 10 AZN 1010/08:


Tenor

1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 27. Juni 2008 - 10 Sa 1721/07 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Beschwerde zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 67.225,58 Euro festgesetzt.


Gründe

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I. Die Parteien streiten über die Entrichtung von Sozialkassenbeiträgen sowie die Herausgabe von Kopien von Lohnabrechnungen.

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Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde begehrt die Beklagte die Zulassung der Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts wegen Divergenz, wegen grundsätzlicher Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage und wegen Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.

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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Die auf Divergenz gestützte Beschwerde ist unzulässig.

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a) Stützt der Beschwerdeführer seine Nichtzulassungsbeschwerde auf Divergenz, so muss er im Einzelnen darlegen, dass die anzufechtende Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, der von einem abstrakten Rechtssatz des Bundesarbeitsgerichts oder eines der anderen in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte zu derselben Rechtsfrage abweicht. Die voneinander abweichenden abstrakten Rechtssätze müssen sich aus der anzufechtenden und aus der angezogenen Entscheidung unmittelbar ergeben und so deutlich ablesbar sein, dass nicht zweifelhaft bleibt, welche abstrakten Rechtssätze die Entscheidungen aufgestellt haben (st. Rspr., vgl. BAG 16. Dezember 1982 - 2 AZN 337/82 - BAGE 41, 188). Ein abstrakter Rechtssatz liegt vor, wenn durch fallübergreifende Ausführungen ein Grundsatz aufgestellt wird, der für eine Vielzahl von Fällen Geltung beansprucht. Eine lediglich fehlerhafte oder den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entsprechende Rechtsanwendung vermag eine rechtserhebliche Divergenz nicht zu begründen (st. Rspr., vgl. BAG 23. Juli 1996 - 1 ABN 49/95 - AP ArbGG 1979 § 72a Divergenz Nr. 34 = EzA ArbGG 1979 § 92a Nr. 4). Weiter ist erforderlich, dass die anzufechtende Entscheidung auf dem abweichenden Rechtssatz beruht. Das ist der Fall, wenn das Berufungsgericht auf der Grundlage des in der angezogenen Entscheidung enthaltenen Rechtssatzes möglicherweise eine andere, für den Nichtzulassungsbeschwerdeführer günstigere Entscheidung getroffen hätte (BAG 23. Juli 1996 - 1 ABN 18/96 - AP ArbGG 1979 § 72a Divergenz Nr. 33 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 76).

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b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.

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Die Beklagte macht geltend, die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts beruhe auf dem Rechtssatz, dass die Durchführung von Bohrungen generell dem Anwendungsbereich des VTV unterfällt. Sie hat jedoch keinen davon abweichenden Rechtssatz aus einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder eines der anderen in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte zu derselben Rechtsfrage aufgezeigt. Der Hinweis der Beklagten auf das beim Bundesarbeitsgericht unter dem Geschäftszeichen - 10 AZR 67/08 - anhängige Verfahren eröffnet nicht die Revision wegen Divergenz. Es kommt hinzu, dass jenem Revisionsverfahren ein anderer Sachverhalt zugrunde liegt. Es geht anders als im Entscheidungsfall nicht um Bohrungen zur Feststellung der Bodenbeschaffenheit.

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2. Soweit die Beklagte die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage begehrt, ist die Beschwerde unbegründet.

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a) Gemäß § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG muss die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde, mit der die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage geltend gemacht wird, die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage und deren Entscheidungserheblichkeit enthalten. In der Regel ist es erforderlich, dass der Beschwerdeführer die durch die anzufechtende Entscheidung aufgeworfene Rechtsfrage konkret benennt (BAG 14. April 2005 - 1 AZN 840/04 - BAGE 114, 200). Die Beschwerde ist begründet, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von der aufgeworfenen Rechtsfrage abhängt, diese Rechtsfrage durch das Revisionsgericht klärungsfähig und klärungsbedürftig ist und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder sie wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder jedenfalls eines größeren Teils der Allgemeinheit eng berührt (vgl. BAG 17. Oktober 2001 - 4 AZN 326/01 - EzBAT BAT §§ 22, 23 B. 1 Allgemeiner Verwaltungsdienst VergGr. II a Nr. 11a, zu II 1 der Gründe mwN). Eine Rechtsfrage ist klärungsfähig, wenn sie vom Revisionsgericht beantwortet werden kann. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich noch nicht entschieden und ihre Beantwortung nicht offenkundig ist (BAG 14. April 2005 - 1 AZN 840/04 - aaO; 22. März 2005 - 1 ABN 1/05 - BAGE 114, 157). Eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt und damit auf die Antwort „kann sein“ hinausläuft, ist unzulässig. Es muss eine konkrete Rechtsfrage benannt sein, die mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden könnte (BAG 23. Januar 2007 - 9 AZN 792/06 - BAGE 121, 52). Entscheidungserheblich ist eine Rechtsfrage, wenn die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts von ihr abhing.

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b) Diese Anforderungen sind nicht erfüllt.

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Der Beklagte will die Frage geklärt haben, ob Bohrarbeiten zur Feststellung der Bodenbeschaffenheit stets dem Anwendungsbereich des VTV unterfallen oder nur dann, wenn sie einen baulichen Bezug aufweisen. Die aufgeworfene Frage ist jedoch nicht klärungsbedürftig. Die Frage ist geklärt. In der Entscheidung vom 8. Februar 1995 (- 10 AZR 363/94 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 188) hat der Senat angenommen, dass zu den in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 5 (jetzt Nr. 6) VTV genannten Bohrarbeiten nicht nur Bohrarbeiten gehören, die im Zusammenhang mit anderen baulichen Leistungen durchgeführt werden. Die Tarifvorschrift erfasst nach dieser Entscheidung auch Bohrungen zur Entnahme von Bodenproben.

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3. Die von der Beklagten geltend gemachte Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt nicht vor.

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Entgegen der Auffassung der Beklagten musste das Landesarbeitsgericht im Rahmen des Gebots effektiven Rechtsschutzes die Verhandlung des Rechtsstreits nicht bis zum Abschluss des beim Bundesarbeitsgericht unter dem Geschäftszeichen - 10 AZR 67/08 - geführten Revisionsverfahrens aussetzen. Einer Verpflichtung des Landesarbeitsgerichts zur Aussetzung der Verhandlung steht außer der fehlenden Vorgreiflichkeit iSv. § 148 ZPO entgegen, dass dem beim Bundesarbeitsgericht unter dem Geschäftszeichen - 10 AZR 67/08 - anhängigen Revisionsverfahren ein anderer Sachverhalt zugrunde liegt. In jenem Verfahren dienen die Bohrungen nicht wie im Entscheidungsfall der Feststellung der Bodenbeschaffenheit. Der Umstand, dass vor dem Bundesarbeitsgericht Revisionsverfahren anhängig sind, die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Durchführung von Bohrarbeiten betreffen, zwingt noch nicht dazu, die Verhandlung aller Rechtsstreite vor den Instanzgerichten auszusetzen, bei denen die Entscheidung von der Frage abhängt, ob Bohrarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 6 VTV arbeitszeitlich überwiegend durchgeführt werden.

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III. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG abgesehen.

Dr. Freitag Marquardt Brühler Feldmann Frese